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Archiv-Artikel

in fussballland Aus dem Ruder gelaufen

CHRISTOPH BIERMANN über den Fall des vom VfL Bochum entlassenen nigerianischen Fußballers Sunday Oliseh

Christoph Biermann, 43, liebt Fußball und schreibt darüber

Als ich nach Hause ging, wusste ich mehr, aber verstanden hatte ich trotzdem nicht. Mit Sunday Oliseh und seinem Berater hatte ich im Hinterzimmer eines italienischen Restaurants in Köln gesessen und noch einmal über das geredet, was zehn Tage zuvor ein Fall geworden war. Oliseh hatte seinem Bochumer Mannschaftskameraden Vahid Hashemian nach dem Heimspiel im Ruhrstadion am 28. Februar gegen Hansa Rostock, das 0:0 ausgegangen war, das Nasenbein gebrochen, und ich wollte wissen, warum er das getan hatte.

Im Laufe unseres Gesprächs ergab sich ein Bild des Vorfalls, zu dessen Vorgeschichte es gehört, dass Olisehs jüngerer Bruder, der bei einem französischen Drittligisten in Grenoble spielt, beim Training zusammengebrochen und mit Herzproblemen ins Krankenhaus gekommen war. Oliseh wollte eigentlich zu ihm nach Frankreich fahren, blieb aber, weil die Partie gegen Hansa Rostock so wichtig war. Am Tag vor dem Spiel platzte außerdem eine Verhandlungsrunde zwischen Olisehs Berater und dem VfL Bochum, weil die finanziellen Vorstellungen weit auseinander lagen. Gegen Rostock spielte Bochum erstmals in dieser Saison richtig schlecht, und Sunday Oliseh erzählte, wie er, der sich als Führungsspieler begreift, in der Halbzeitpause nach dem Trainer das Wort an die Mannschaft gerichtet hatte, um eine klarere Spielweise einzufordern.

Kurz vor Anpfiff der zweiten Halbzeit sahen alle im Stadion wie der Nigerianer und sein iranischer Mannschaftskamerad aneinander gerieten und nur mühsam getrennt werden konnten. Wie in diesem Moment funkelten Olisehs Augen vor Empörung, als er im Hinterzimmer des Italieners erzählte, dass Hashemian ihn rassistisch beleidigt hätte. Dass ihm das noch nie passiert wäre. Nein, was für Worte genau gefallen waren, das wollte er nicht wiederholen.

Meine Freundin Moni ist Sozialarbeiterin im trostlosesten Stadtteil einer trostlosen Stadt im Ruhrgebiet. Sie hat vor allem mit türkischen, nordafrikanischen und arabischen Jugendlichen zu tun, in deren Konflikten es häufig darum geht, dass sich einer in seiner Ehre beleidigt fühlt. Wenn Moni nachfragt, worum es denn genau geht, muss sie angesichts der Antwort oft genug ihre Enttäuschung verbergen. Was da einer für so ehrverletzend hält, dass er sich rächen will, darüber kann sie nur die Achseln zucken.

Was für Wörter haben Oliseh noch eine Dreiviertelstunde später, nachdem er eine zweite Halbzeit gegen Rostock schuften musste, immer noch rotsehen lassen? Denn erst in der Kabine schnellte sein Kopf nach vorne und brach Hashemians Nasenbein. Mochte er sie nicht sagen, weil er ahnte, dass auch wir mit den Achseln zucken würden? Hatte Hashemian vielleicht doch nur gesagt, er lasse sich von Oliseh nichts sagen, weil der nicht sein Mannschaftskapitän sei? Und dass er hier nicht in Nigeria sei, wo Oliseh lange das Nationalteam anführte? Hatte allein das den stolzen Spieler empört, der immer schon darauf bestand, dass man ihm allen Respekt entgegen bringt.

Als ich mit Steffen, der als DJ arbeitet, über den Fall debattierte, erzählte er mir von einem afrikanischen Kollegen, mit dem zusammen er und ein paar andere DJs häufig aufgelegt hätten. Eines Tages jedoch kam der Afrikaner nicht mehr. Steffen verstand das so wenig wie die anderen, sie hatten die Arbeit des afrikanischen DJs geschätzt und ihn gemocht. Als sie ihn fragten, was denn los wäre, wollte er nicht mit der Sprache herausrücken und grummelte nur etwas, dass er zu schlecht sei. Dass sie ihm widersprachen, mochte er nicht hören.

Ich mag Sunday Oliseh nicht nur als Fußballspieler, wo er zudem nie als gewalttätig auffiel, auch jenseits des Platzes hat er ein kultiviertes Auftreten. Ich mag auch Vahid Hashemian, denn ich habe selten einen so höflichen Fußballprofi erlebt. Oliseh versuchte mir noch zu erklären, dass in Fußballmannschaften Konflikte immer mal wieder aus dem Ruder laufen würden. Schließlich sei Fußball ein Kampfsport, nur mit dem Unterschied, dass in anderen Klubs gröbere Ausfälle halt unter der Decke gehalten würden.

Daran mag etwas sein, aber zugleich klang es zurechtgelegt. Vielleicht ging es Sunday Oliseh auch wie mir: Er verstand Sunday Oliseh nicht.